Am 6. Juni 2018 veröffentlichte die Bundesregierung ein Konsultationspapier zur Aktualisierung der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie. Eine grundlegende Überarbeitung ist für das Jahr 2020 vorgesehen. Das Konsultationspapier des Staatssekretärsausschusses für nachhaltige Entwicklung nennt „nachhaltige Finanzwirtschaft“ (Sustainable Finance) nicht unter den sechs Fragebereichen für die Aktualisierung, was in Anbetracht der aktuellen Entwicklung insbesondere auf europäischer Ebene nicht sachgerecht erscheint. Nachhaltigkeit ist in der Finanzwirtschaft mittlerweile industrielle Logik, weshalb ihre Rolle für nachhaltige Entwicklung stark betont werden sollte. Zudem hat der Deutsche Bundesrat eine Empfehlung zur Umsetzung der Vorschläge der EU-Kommission beschlossen.

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Beitragsbild: Titelseite BaFin Journal Mai 2018

Dr. Ralf Breuer

11. Juni 2018, ergänzt 14. Juni 2018 (Pressemitteilung der EU-Kommission vom 13.6.2018), 15. Juni 2018 (Brief des EZB-Präsidenten an Mitglieder des europäischen Parlaments), 18. Juni 2018 (Aussage des Präsidenten der europäischen Versicherungsaufsicht)

Über Investabel®

Investabel® ist ein unabhängiges Informations- und Beratungsangebot zum Thema Nachhaltigkeit in der Finanzwirtschaft. Vor dem Hintergrund langjähriger Erfahrung in der Analyse des globalen Finanzsektors wird das Thema im Spannungsfeld mit den Großthemen Digitalisierung und Finanzmarktregulierung beleuchtet. Beispiele zu den Themen finden Sie unter Angebote. Investabel® war im April 2018 Mitunterzeichner des Offenen Briefs zum Thema Sustainable Finance an Berlin und Brüssel.

Nachhaltigkeitsstrategie wird aktualisiert

Am 4. Juni  2018 übergab die von der Bundesregierung eingeladene Expertenkommission um die frühere neuseeländische Regierungschefin Helen Clark ihren „Peer Review“ mit 11 Empfehlungen an die Bundeskanzlerin. Sehr prompt leitete die Bundesregierung am 6. Juni 2018 eine Konsultation für eine Aktualisierung der erst im Januar 2017 beschlossenen deutschen Nachhaltigkeitsstrategie mit Frist zum 26. Juni 2018 ein. Eine grundlegende Überarbeitung der Strategie ist für das Jahr 2020 vorgesehen.

Das Konsultationspapier des Staatssekretärsausschusses für nachhaltige Entwicklung, das den aktuellen Stand der Diskussion wiedergibt, benennt die Fragen, um die es bei der Aktualisierung geht (vgl. Bundesregierung 4.6.2018: Nachhaltige Entwicklung – Wir aktualisieren die Strategie: Machen Sie mit!):

  • Verlust von Lebensmitteln in Deutschland
  • Deutschlands Beitrag dazu, weltweit Hunger und Mangelernährung zu beenden und das Recht auf Nahrung zu verwirklichen
  • Bessere Berücksichtigung von Nachhaltigkeit bei der öffentlichen Beschaffung
  • Stärkung von Bildung für nachhaltige Entwicklung
  • Wirkung von Forschungsinvestitionen
  • Bodenschutz

Nachhaltige Finanzwirtschaft (SustainableFinance) findet sich im Konsultationspapier damit nur am Rande durch Erwähnung des „Hub for Sustainable Finance Germany“ (www.h4sf.de) (S. 5) und Nennung des EU-Aktionsplans als zukünftigem Tagesordungspunkt des Staatssekretärsauschusses im Zeitraum bis Ende 2019 (S. 6).

Vor dem Hintergrund der Tragweite und der Dynamik der Entwicklung insbesondere auf europäischer Ebene erscheint die Ausklammerung des Finanzsektors nicht angemessen. Der Aktionsplan der EU-Kommission findet breite Unterstützung und eine überwältigende Mehrheit bei einer entsprechenden Resolution im europäischen Parlament. Der Deutsche Bundesrat hat der Bundesregierung in seiner Plenumssitzung am 27.4.2018 der Bundesregierung die Umsetzung auch in Deutschland empfohlen (Nachhaltigere Finanzwirtschaft – Nummer Siebenunddreissig). Wichtige Akteure in  der Finanzwirtschaft haben den Plan bereits mit geringen Einschränkungen ausdrücklich begrüßt (vgl. Der Aktionsplan der EU-Kommission geht in die Umsetzung).

Am 13.6.2018 hat die EU-Kommission eine 35köpfige Expertenkommission für die technische Umsetzung des Aktionsplans auch mit deutschen Vertretern benannt (Pressemitteilung der EU-Kommission vom 13.6.2018 (EN), Technical Expert/Working Group, TEG). Insofern könnte Aktualisierung Hand-in-Hand mit den Aktivitäten auf europäischer Ebene erfolgen

Nachhaltigkeit ist industrielle Logik

Für die Finanzwirtschaft ist Nachhaltigkeit industrielle Logik geworden: Klimarisiken aus Klimawandel und Energiewende sind allgegenwärtig, die 17 nachhaltigen Entwicklungsziele der Vereinten Nationen bestimmen die Investitionschancen (vgl. HSBC Sustainable Finance Briefings 2017). Das Bundesfinanzministerium hat bereits 2016 in einem Gutachten die Relevanz von Klimarisiken für den deutschen Finanzmarkt unterstrichen: BMF: Relevanz des Klimawandels für die Finanzmärkte. Insbesondere die Versicherungsbranche und die Pensionsfonds haben dies vergleichsweise früh erkannt und große Vermögensverwalter bereits Einiges umgesetzt (vgl. z.B. Nachhaltigere Finanzwirtschaft – Nummer Einundvierzig).

Folgerichtig haben die europäischen Bankaufsichtsbehörden – in Deutschland die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) und Deutsche Bundesbank – Klimarisiken im Fokus und sehen sie als wesentlich für die Risikoeinschätzung in der Kreditwirtschaft. Dies gilt ohne Ausnahmen: Die Diskussion möglicher Dieselfahrverbote belastet beträchtlich die deutsche Wirtschaft und hat zu Wertverlusten bei Dieselfahrzeugen geführt, ein höherer Anteil von Elektroantrieben führt zu strukturellen Veränderungen im produzierenden Gewerbe (vgl. Nachhaltigere Finanzwirtschaft – Nummer Einundvierzig mit weiteren Verweisen auf vorausgegangene Ausgaben).

Auch die Europäische Zentralbank EZB hat sich in einem Brief ihres Präsidenten an Mitglieder des europäischen Parlaments vom 12.6.2018 für den Aktionsplan ausgesprochen. Sie sieht u.a. auch als Beitrag zur Finanzmarktstabilität:

We also welcome the Action Plan on sustainable finance recently published by the European Commission as an important step towards integrating sustainability into financial decision-making. We actively support theproposed development of a common EU taxonomy of sustainable assets, as well as the proposals for strengthening sustainability disclosure, which could contribute to better pricing of environmental risks that might pose a threat to financial stability. (Letter from the ECB-President to Mr Paul Tang, Ms Neena Gill, Mr Jonás Fernández, Members of the European Parliament 12.6.2018)

Am 14.6.2018 äußerte sich in Frankfurt auch der Präsident der europäischen Versicherungsaufsichtsbehörde eiopa – European Insurance and occupational Pension Authority:

„Der oberste Versicherungsaufseher in Europa hält es für sinnvoll, eine eigene Anlageklasse für nachhaltige Investments zu schaffen. „Versicherer sollten die Transformation zu einer Industrie mit weniger Kohlenstoff unterstützen“, sagte eiopa-Präsident Gabriel Bernardino am Dienstagabend vor dem Internationalen Club Frankfurter Wirtschaftsjournalisten. Anreize könnten die institutionellen Investoren zu einem solchen Verhalten bewegen. Das könnten zum Beispiel niedrigere Kapitalerfordernisse für solche Anlagen sein. „Damit wäre ich einverstanden, wenn es evidenzbasiert ist“, sagte er.“ Philipp Krohn: Versicherer sollen nachhaltiger anlegen, www.faz.net 14.6.2018.

Der Hinweis auf „evidenzbasiert“ drückt diplomatisch aus, was bereits andere Finanzaufsichtsbehörden geäußert haben: Die von der EU-Kommission und auch französischen Interessenvertretern befürwortete pauschale Begünstigung „grüner“ Investments (Green Supporting Factor) widerspricht der Einschätzung der europäischen Aufsichtsbehörden.

 

Teile der Kreditwirtschaft mit „Kopf im Sand“?

Vor dem Hintergrund der Situation bleiben die Reaktionen aus der deutschen Kreditwirtschaft teilweise unverständlich. Während private (Pressemitteilungen Bankenverband vom 8.3. und 24.5.2018) und öffentliche (Pressemitteilung VÖB vom 8.3.2018) Banken den Aktionsplan der EU-Kommission mit nur geringen Einschränkungen ausdrücklich begrüßt haben, war die gemeinsame Einschätzung der fünf großen Interessensvertretungen unter Federführung des Deutschen Sparkassen- und Giroverbands (DSGV) zwischen lau (Pressemitteilung Die Deutsche Kreditwirtschaft vom 8.3.2018) und ignorierend: In der jüngsten gemeinsamen Stellungnahme zum „EU-Bankenpaket“ findet der Plan mit keinem Wort Erwähnung ! – Vgl. Pressemitteilung Die Deutsche Kreditwirtschaft vom 25.5.2018.

Wenig Nachhaltigkeit trotz Gemeinnutz und -wohl

Der Eindruck aus den Verlautbarungen der Kreditwirtschaft setzt sich bei einem Blick auf die lokalen und regionalen Nachhaltigkeitsnetzwerke fort: Die Kreditwirtschaft findet sich kaum vertreten, trotz der immer wieder betonten engen lokalen Verwurzelungen im Genossenschafts- und Sparkassenbereich und der Ausrichtung an Gemeinwohl bzw. Gemeinnützigkeit. In Nordrhein-Westfalen werden gerade weitere 15 kommunale Nachhaltigkeitsstrategien entwickelt, in die sich die lokale Kreditwirtschaft mit entsprechenden Produktangeboten einbringen könnten. Nachhaltigkeit wird aber überwiegende nur intern und in Blick auf die CSR-Berichtspflicht verstanden, weniger mit passenden Produkten.

Bei manchen Reden ist interessanter, was nicht angesprochen wird. So finden sich in einem der jüngsten Manuskripte des Präsidenten des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes einige Hinweise auf gesellschaftliche Verantwortung, nicht aber der Begriff Nachhaltigkeit/nachhaltige Entwicklung, was sich ja durchaus mit den nachstehenden Feststellungen decken würde. Rede von Helmut Schleweis anlässlich des Retailbankentags der Börsenzeitung „Finanzdienstleister sein – was heißt das heute?“ 07.06.2018:

„…Aufgabe besteht darin, einen Nutzen zu schaffen, von dem alle Kunden und auch Nichtkunden profitieren. Dazu gehört, möglichst viele Menschen miteinander zu verbinden und ihre Gemeinschaft zu fördern. Das kann letztlich auch durch gesellschaftliches Engagement geschehen (S. 2).“

„Grundlage unserer Strategie sind also nicht vermutete Trends, sondern der reale Bedarf der Menschen in seiner ganzen Vielfalt (S. 3).“

„Unser gesamtes Geschäftsmodell mit seiner breiten Verankerung über alle Kundengruppen, Altersstufen, Lebenswege, Wirtschaftszweige, Städte, Kreise und Gemeinden ist strukturell auf Ausgleich angelegt. Das soll für die Menschen sichtbar sein. Deshalb müssen Sparkassen unterscheidbar bleiben und ihre Leistungen weiterhin so ausgestalten, dass sie für die Mehrheit der Menschen passen – nicht nur für eine digitale Elite (S. 8).“

Nur wenig Kritik am EU-Aktionsplan

1. Zu enge Ausrichtung am Klimaschutz

In einer von WWF Deutschland und der Triodos Bank Deutschland konzertierten Stellungnahme vom 24.5.2018 wird vor einer zu engen Ausrichtung am Klimaschutz und der Vernachlässigung anderer nachhaltiger Entwicklungsziele gemahnt. Allerdings sehen die Verfasser, dass sich bei diesem Ansatz schnellere Ergebnisse erhoffen lassen und der Plan offen für weitere Ziele formuliert wurde. Dies ist beispielsweise bei den Empfehlungen für „Green Finance“ in Großbritannien nicht der Fall (vgl. Nachhaltigere Finanzwirtschaft – Nummer Dreiunddreissig).

Klimaschutz und Klimarisiken bieten den größtmöglichen Konsens, da sie auch im Fokus der europäischen Bankaufsichtsbehörden liegen und niemand in der Kreditwirtschaft ihre Evidenz bestreiten kann.

2. Beratungspflicht vor Taxonomie

Die EU-Kommission strebt eine Beratungspflicht zu Nachhaltigkeitsthemen in der Finanzindustrie an. Hierzu sollen die Beratungsrichtlinien (MiFIDII bzw. IDD) zeitnah angepasst werden. In seiner Pressemitteilung vom 24.5.2018 „Den Rahmen für Sustainable Finance richtig gestalten“ gibt der Bankenverband zu bedenken, Beratungspflichten erst nach der angestrebten Klassifizierung von nachhaltigen Anlagen vorzunehmen. Sicherlich eine bedenkenswerte Argumentation.

3. Kapitalerleichterungen für „grüne Aktivpositionen“

Nicht verständlich am Aktionsplan sind einzig die von der EU-Kommission sehr gradlinig vorgeschlagenen Kapitalerleichterungen für „grüne“ Investments (green support factor). Dieser basiert wohl auf einem Vorschlag des französischen Bankenverbands und erleichtert die dortige Zustimmung.

Die europäischen Bankaufsichtsbehörden werden diesen Vorschlag kaum in dieser Gradlinigkeit aufnehmen und eine angemessene, risikoadäquate Kapitalunterlegung anstreben. Aufgrund ihres Charakters erscheint dann eine Belastung der langfristigen Risiken aus der Abhängigkeit von fossilen Energieträgern („braune“ Risiken) wahrscheinlicher.

Fazit: Priorität für nachhaltige Finanzwirtschaft

Allein aufgrund der Evidenz von Klimarisiken und der Dringlichkeit des Klimaschutzes wäre eine Priorisierung des Finanzsektors in der aktualisierten Nachhaltigkeitsstrategie angeraten. Die Realwirtschaft ist stark von Klimawandel und Energiewende betroffen, was bereits deutliche Spuren in den Büchern der deutschen Kreditwirtschaft hinterlässt. Insofern finden sich im Finanzsektor ausnahmsweise einmal Dringlichkeit und Wichtigkeit auf ein und  derselben Stufe.

Es werden keine plausiblen Argumente genannt, den Empfehlungen des Deutschen Bundesrates und damit dem Aktionsplan der EU-Kommission nicht zeitnah zu folgen und diese bedeutende Entwicklung bei der anstehenden Aktualisierung der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie auszuklammern.